Kaufmännische und technische Beratung in Österreich und Deutschland – Auslegungsproblematik der Betriebsstättenbegründung

Der OECD-Musterkommentar, welcher als Auslegungsbehelf für die Interpretation der international abgeschlossenen bilateralen Doppelbesteuerungsabkommen dient, wurde im Jahr 2003 im Bereich des Betriebsstättenbegriffs entscheidend reformiert. Im Rahmen der Revision des Kommentars wurden die Anforderungen an die für den Bestand einer abkommensrechtlichen Betriebsstätte notwendige Verfügungsmacht über Geschäftseinrichtungen problematisch abgesenkt. Die in Art. 5 Abs. 1 OECD-Musterabkommen (OECD-MA) enthaltene Formulierung, wonach als Betriebsstätte eine feste Geschäftseinrichtung gilt, durch die die Tätigkeit eines Unternehmers ganz oder teilweise ausgeübt wird, soll seither nämlich viel weiter ausgelegt werden.

Nunmehr sollen nach Ansicht der OECD auch Geschäftstätigkeiten eine Betriebsstätte begründen, die an einem bestimmten Ort ausgeübt werden, der zu diesem Zweck dem Unternehmen zur Verfügung steht.

  • So übt nach Ansicht des OECD Fiskalausschusses ein Unternehmen, das sich mit dem Teeren von Straßen beschäftigt, seine Unternehmenstätigkeit durch den Ort aus, an dem die Straße geteert wird (Rz. 4.6 OECD-MK zu Art. 5 Abs. 1 OECD-MA).
  • Auch ein Anstreicher, der sich durch zwei Jahre hindurch an drei Tagen in der Woche mit dem Ausmalen der Büroräume seines ausländischen Kunden beschäftigt, soll allein durch seine Anwesenheit im Bürogebäude, wo er die für seine Geschäftstätigkeit wichtigsten Funktionen (das Anstreichen) ausübt, eine abkommensrechtliche Betriebsstätte begründen.
  • Auch ein Berater, welcher innerhalb derselben Zweigstelle eines Bankunternehmens wechselnde Räumlichkeiten benützt, begründet nach den Ausführungen des OECD-MK für seinen Arbeitgeber eine abommensrechtliche Betriebsstätte im Tätigkeitsstaat.

Es wurde der Kommentar somit dahingehend geändert, dass der Leistungsort zur Betriebsstätte des ausländischen beratenden Unternehmens wird. Ein tatsächliches freies Verfügungen von Räumlichkeiten ist damit zur Betriebsstättenbegründung seither nicht mehr notwendig.

Fazit:

Durch die Aufweichung des Betriebsstättenbegriffes im Jahr 2003, wurden den Mitgliedsstaaten der OECD zum einen weite Auslegungsmöglichkeiten in die Hände gelegt, welche eine Argumentation zur Begründung einer Betriebsstätte bei grenzüberschreitenden Beratertätigkeiten auch ohne tatsächliche Verfügungsmacht von festen Einrichtungen im Tätigkeitsstaat ermöglichen. Das Österreich sich dieser, aus unserer Sicht sehr problematischen und rechtsunsicheren, Auslegung des OECD-Kommentars im Kampf um allfälliges Steuersubstrat bedient, zeigte sich leider in den letzten Jahren bei von uns begleitende Betriebsprüfungen.

Deutschland als OECD-Mitgliedsstaat hat zum oben erwähnten „Anstreicher-Beispiel“ als auch zum „Beraterbeispiel“ einen Vorbehalt im Rahmen der damaligen Revision im Jahr 2003 angebracht und festgehalten, in solchen Fällen keine abkommensrechtliche Betriebsstätten zu unterstellen.

Diesbezüglich dürfen wir auf einen soeben in einer deutschen Steuerfachzeitschrift erschienenen Artikel verweisen, welche die Rechtsansichten der deutschen Gerichte als auch der Fachliteratur gut zusammenfasst:

Titel: Betriebsstättenbegründung bei Erbringung von Dienstleistungen in fremden Räumen

Beduhn/Staudler (IStR 2015, 937 ff) diskutieren die Frage, ob die Erbringung von Dienstleistungen in den Räumen eines Kunden eine Betriebsstätte nach Art 5 Abs 1 OECD-MA begründen könne. Nach Ansicht der Autoren reichten die bloße Berechtigung zur Nutzung eines Raumes im Interesse eines Kunden sowie eine rein tatsächliche Nutzungsmöglichkeit für die Begründung einer Betriebstätte nicht aus, weil es an der Verfügungsmacht mangle. Die Erbringung von Dienstleistungen in den Räumen des Kunden – auch über längere Zeit – sei nicht betriebsstättenbegründend; der Dienstleister bleibt „Gast“ im Kundenunternehmen. Auch die deutsche Finanzverwaltung (dBMF 12. 11. 2014, IV B 2 – S 1300/08/10027) lege den Begriff der Verfügungsmacht eng aus. Nach dem Urteil des BFH vom 4. 6. 2008, I R 30/07, genüge demgegenüber bereits, wenn aus tatsächlichen Gründen anzunehmen ist, dass dem Unternehmer irgendein für seine Tätigkeit geeigneter Raum zur ständigen Nutzung zur Verfügung gestellt wird. Auch für den BFH genüge zwar das bloße Tätigwerden in Räumlichkeiten des Kunden für sich genommen nicht, um die erforderliche Verfügungsmacht zu begründen. Ausreichend sei aber bereits die Tätigkeit in einer Geschäftseinrichtung oder Anlage mit fester örtlicher Bindung, wenn in der Bindung eine „Verwurzelung“ mit dem Ort der Ausübung der Tätigkeit zum Ausdruck komme.

Von unserer Seite kann daher festgestellt werden, dass sich die Rechtsansichten zwischen Österreich und Deutschland bei grenzüberschreitenden Beratungsleistungen wesentlich unterscheiden (wobei die deutschen Höchstgerichte der österreichischen Meinung näher stehen). Diese unterschiedlichen Ansichten können im Falle eines Aufgriffes, beispielsweise seitens der österreichischen Finanzverwaltung bei einer allfälligen Betriebsprüfung, zu einem Qualifikationskonflikt führen. Dieser könnte fallspezifisch womöglich nur durch ein Verständigungsverfahren beider Länder gemäß Art. 25 DBA abschließend gelöst werden.